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Marcel Beyer

Vor fünf Jahren hat er zusammen mit Uwe Tellkamp erstmals am Münsteraner Lyrikertreffen teilgenommen; im letzten Jahr trat er dort zum zweiten Mal auf. Sein neuer Roman stand jetzt auf der Longlist zum Buchpreis (den Uwe Tellkamp gewonnen hat), und Ende September ist ihm einer der am höchsten dotierten deutschen Literaturauszeichnungen verliehen worden: Am Dienstag, den 11. November um 20 Uhr liest Marcel Beyer aus seinem Roman „Kaltenburg“. Auf ihn trifft zu, was die Jury des Joseph-Breitbach-Preises über das Gesamtwerk befunden hat. Marcel Beyer habe das Verhältnis von Erinnerung und Erfindung, Verschweigen und Vergessen in immer neuen Versuchsanordnungen ästhetisch ausgelotet: „Recherche, Analyse und Fiktion gehen in seinen Büchern eine subtil komponierte und atmosphärisch dichte Verbindung ein, wobei die literarische Rekonstruktion der Vergangenheit die Bedingungen des Erinnerns immer mitreflektiert.“ Beyers Romane seien poetische Resonanzräume für die Stimmen der Toten, imaginäre Raumerweiterungen, deren Präzision und Musikalität stets dem Klangbewusstsein und der sprachlichen Ökonomie des Lyrikers geschuldet seien.

„Kaltenburg“ ist ein Roman, der in den gleichen Echoraum gehört wie Uwe Tellkamps Epos „Der Turm“. Beide schlagen einen historischen Bogen von der Zeit des Nationalsozialismus bis zum Ende der DDR, und beides sind Dresden-Romane. Während Tellkamp einen Familienroman erzählt, konzentriert sich Marcel Beyer auf das Leben und Werk zweier Naturwissenschaftler. Hatte Connie Palmen (zu Gast beim Literaturverein am 5.11.) in ihrem Roman „Luzifer“ – mit seinen Anklängen an Klaus Manns „Mephisto“ und Thomas Manns „Doktor Faustus – die dubiosen Pakte sondiert, die Künstler um ihres Werks willen zu schließen bereit gewesen sind, so stellt Marcel Beyer die Frage nach der Verführbarkeit des Naturwissenschaftlers. Hauptfigur ist der Ornithologe Ludwig Kaltenburg, der seine Karriere aus dem im III. Reich in die DDR hat hinüberretten können.

Uwe Tellkamp, Connie Palmen und Marcel Beyer verbindet noch ein weiteres Motiv: Alle drei Autoren beziehen sich in ihren Romanen auf historische Figuren, bestehen aber darauf, dass sie keinen Schlüsselroman im Sinn gehabt haben. Marcel Beyers Kaltenburg wird durchsichtig für das Leben und – problematische - Werk des Verhaltensforschers Konrad Lorenz, und zwei weitere Figuren, die mit Kaltenburg zusammenkommen, sind „Versionen“ von Joseph Beuys und Heinz Sielmann. Und dennoch: kein Schlüsselroman, sondern eine faszinierende Versuchsanordnung über beobachtete Beobachter für beobachtungsfähige und -freudige Leser!