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Dieter Kühn

„Da schwimmen manchmal ein paar gute Sätze vorbei“ – so heißt eine vor vier Jahren erschienene Sammlung von Texten „aus der poetischen Werkstatt“. In ihr findet sich eine „Projektskizze“ von Dieter Kühn. Sie trägt den Titel „Schillers Schreibtisch. Kopie ’45“. Jetzt ist aus dieser Projektskizze ein Buch geworden, das einen höchst originellen Beitrag zum Schillerjahr darstellt. In einer von der Stadtbücherei und dem Literaturverein gemeinsam geplanten Veranstaltung wird Dieter Kühn am Donnerstag, den 14. April um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus seinem Buch lesen, das den Titel der Projektskizze deutlich variiert: „Schillers Schreibtisch in Buchenwald“. Der 1935 in Köln geborene Autor hat sich schon immer für unerhörte lebensgeschichtliche Begebenheiten interessiert, und er hat in der deutschen Gegenwartsliteratur zur Gattung des erzählerischen Sachbuches glanzvolle Beiträge geliefert. Jetzt hat er in einem Möbelstück, nein: in der Kopie eines Möbelstücks ein Sinnbild gefunden für die Verschränkung kultureller und barbarischer Entwicklungslinien in der deutschen Geschichte, eine Chiffre, die den 200. Todestags Schillers mit dem 60. Jahrestag des Kriegsendes verblüffend (und bestürzend) zusammenbringt: „Schillers Weimarer Schreibtisch, als Kopie hergestellt im Konzentrationslager auf dem Ettersberg, und diese Kopie deponiert in einem Gebäude an der Südflanke ausgerechnet des Ettersberges, dies auch noch in einem Bau, der seinerzeit von Offizieren der Luftwaffe, später von Offizieren der Sowjetarmee genutzt wurde – enger, schmerzhafter könnten sich historische Perspektivlinien nicht schneiden.“

Dieter Kühn weiß absurde Begebenheiten zu erzählen. Er berichtet über eine „Luftschutz-Besprechung“, in der Weimarer Behörden Mitte Februar 1942 über Schutzmaßnahmen für das Goethe-Schiller-Denkmal beraten haben; Kühn zitiert aus dem Protokoll: „Entweder eine Ummantelung mit 51 cm starkem Mauerwerk mit Eisenbetondecke oder eine Holzeinrüstung mit Sandsackfüllung zur Splittersicherung.“ Eine „eingehende Aussprache“ habe zu dem Ergebnis geführt, dass Zweitstücke „insbesondere von Goethes Arbeitszimmer, von seinem Schlafzimmer, sowie von Schillers Bett, Schreibtisch und Stuhl“ anzufertigen seien. Die Pointe von Kühns Buch liegt nun nicht nur darin, dass die Kopie dieses Schreibtisches in einer Werkstatt des Konzentrationslagers Buchenwald angefertigt wird, sondern dass von diesem „Punkt“ aus auch Stationen von Schillers Leben und die Rezeptionsgeschichte(n) seiner Werke durchsichtig werden. Einen besonderen Reiz gewinnt das Buch dadurch, dass Dieter Kühn nicht ergebnis-, sondern verlaufsorientiert erzählt, also immer auch seine eigene Suchbewegung zum Gegenstand des Erzählens macht.