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Kathrin Schmidt

Der eigene Tod, der Tod von Freunden, der Selbstmord des Vaters: Die letzten Dinge scheinen ein Thema zu werden in der aktuellen Gegenwartsliteratur, hier seien nur die Namen Christoph Schlingensief, Sibylle Lewitscharoff und Judith Hermann genannt. Am Donnerstag, den 28. Mai wird um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei Gast des Literaturvereins eine Autorin sein, die vor mehr als zehn Jahren hier ihren ersten Roman vorgestellt, im Jahr 2003 bereits einmal am Lyrikertreffen Münster teilgenommen hat und im gleichen Jahr mit dem Droste-Preis der Stadt Meersburg ausgezeichnet wurde. Die 1958 in Gotha/Thüringen geborene Kathrin Schmidt präsentiert ihr neues Buch, dessen Titel der dramatische Satz ist, mit dem er aufhört: „Du stirbst nicht“. Es ist ein Roman, der die abenteuerliche Geschichte einer Schriftstellerin erzählt, die durch eine Hirnverletzung ihre Sprache verloren hat – und sie Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort wiedergewinnt.

Es ist Kathrin Schmidts eigene Geschichte, transformiert in den Leidensweg – und die Auflehnung! – ihrer Protagonistin Helene Wesendahl, die eine Hirnblutung erleidet, ein geplatztes Aneurysma: Mit einem Schlag „zerhackt sich die Welt in auseinanderstrebende Szenen“, ehe sie ganz verschwindet. Als Helene nach vierzehn Tagen aus dem künstlichen Koma erwacht, kann sie Außenweltgeräusche wahrnehmen, aber mit den seltsamen Wesen, die sie umgeben, nicht kommunizieren, weiß auch nicht so recht, wer eigentlich sie ist, die da von einem surrealen Kokon umgeben scheint. Hier berührt sich der Roman mit „Schmetterling und Taucherglocke“, dem Buch von Jean-Dominique Bauby, das im letzten Jahr durch Julian Schnabels meisterhafte Verfilmung ganze Kinosäle atemlos gemacht hat. Nein, es ist nicht nur existentiell bewegend, wie weise und heiter Kathrin Schmidt die Geschichte einer körperlichen und sprachlichen Wiedergeburt erzählt. Auch die stupende Kunstfertigkeit, mit der sie den „Alltag“ in Klinik und Reha-Klinik, die Vergangenheit und Gegenwart einer (großen) Familie, alte und neue, immer fiebernde Liebesgeschichten vergegenwärtigt, ist ein Triumph über den Tod. Als Helene eines Tages schreiben „muß“, die ersten sechs Zeilen eines Gedichts – „woher sie das nahm, ist ihr unklar“ –, möchte man ihr Szenenapplaus spenden. Und dann schreibt sie einen kongenialen Text über Büchners Erzählung „Lenz“, und auf der letzten Seite erinnert sie sich daran, wie alles angefangen hat, mit dem Gefühl, „jemand habe mit einem Schnipsgummi nach ihr geschossen und sie am Kopf getroffen“. Und ganz zuletzt kommt dann der titelstiftende Satz, der die Antwort ist auf eine Feststellung, die ihm unmittelbar vorausgeht: „Ich sterbe“