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Matthias Weichelt

Ein wehmütiges Porträt des deutschen Schriftstellers Felix Hartlaub zeichnet in seinem 1997 erschienenen Buch „Nora Bruder“ der spätere französische Literatur-Nobelpreisträger Patrick Modiano. In dieser kollegialen Wertschätzung unterstützt ihn Durs Grünbein: Kein anderer Schriftsteller seines Alters sei erzählerisch so weit in die innerzivilisatorischen Wüsten der Weltkriegszeirt vorgedrungen. Felix Hartlaub, 1913 in Bremen geboren, 1945 im umkämpften Berlin verschollen, hat in den letzten Jahren eine wachsende, durch kommentierte Neuausgaben unterstützte Aufmerksamkeit gefunden, Matthias Weichelt hat jetzt dem „kurzen Leben des Felix Hartlaub“ eine Biographie gewidmet. Am Montag, dem 30. Oktober, wird er um 20 Uhr im Theatertreff (Neubrückenstraße 63) aus seinem Buch lesen, das 2020 unter dem Titel „Der verschwunden Zeuge“ erschienen ist.

Weichelt, geboren 1971, ist Chefredakteur der Literaturzeitschrift „Sinn und Form“. Er ist Mitherausgeber der kommentierten Nelly-Sachs-Werkausgabe (2011) und Autor des biographischen Essays „Peter Huchel“ (2018). Weichelt lebt in Berlin.

Als Felix Hartlaub 1945 in den letzten Kriegstagen im umkämpften Berlin spurlos verschwindet, ist der promovierte Historiker, Autor und Zeichner gerade 31 Jahre alt. Nach dem Besuch der Odenwaldschule studierte er in Berlin. Dort freundete er sich mit Klaus Gysi an, dem späteren DDR-Kulturminister und Aufbau-Verleger – und verliebte sich in dessen Mutter Erna. Im Krieg wurde Hartlaub als Mitarbeiter des Auswärtigen Amts nach Paris beordert und führte später mit anderen das Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht im Führerhauptquartier in Rastenburg, Winniza und Berchtesgaden. Hartlaub hat die Brutalität seiner Zeit, die „Menschenfressergesichter“ in den Großstädten, die »ratlose Männlichkeit« seiner Kameraden, die Sentimentalität und Unbarmherzigkeit des militärischen Jargons mit einzigartiger Sensibilität und Klarheit beschrieben. Seine Briefe, Aufzeichnungen und literarischen Texte blieben erhalten. Darunter ein Romanversuch über das Attentat vom 20. Juli 1944, das er aus nächster Nähe – an seinem Arbeitsplatz im Sperrkreis II der „Wolfsschanze“ – miterlebte. „Die Frage nach der Genese, nach dem ‚Wie war es möglich‘, wird wohl die einzige sein, die noch an uns gerichtet, zu der vielleicht noch etwas zu sagen sein wird“, schrieb Felix Hartlaub. Matthias Weichelts Buch Biographie spürt dem dramatischen Verlauf dieses Lebens nach und rückt die bestürzende Dichte und Präsenz von Hartlaubs so tragisch unvollendet gebliebenem Werk in ein neues Licht.