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Eva Menasse

Mit den Reportagen über den im April 2000 in London abgeschlossenen Prozess um den Holocaust-Leugner David Irving machte sie sich einen Namen, die 1970 in Wien geborene Journalistin Eva Menasse. Es folgten der Roman „Vienna” (2005) und der Erzählungsband „Lässliche Todsünden” (2009). Jetzt hat Eva Menasse ihren zweiten Roman vorgelegt. Am Donnerstag, den 6. Juni 2013 wird sie um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei aus „Quasikristalle” lesen.

Der den Naturwissenschaften entlehnte Titel des Romans steht in einer Tradition, die mit Goethes „Wahlverwandtschaften” (1809) begonnen haben mag: Wahlverwandtschaft ist ein Begriff aus der Chemie, wo er das anziehende und abstoßende Verhalten von chemischen Verbindungen beschreibt. Menasses Titel beruht auf der Entdeckung, dass es nicht nur Kristalle mit klar symmetrischer Struktur, sondern auch gebrochene und scheinbar unregelmäßige gibt. Diese Kristalle sind für Eva Menasse eine Metapher für den Lebensweg ihrer Protagonistin. Die Autorin zerlegt die Biografie einer Frau in ihre unterschiedlichen Aspekte, zeigt sie als Mutter und Tochter, als Freundin, Mieterin und Patientin, als flüchtige Bekannte und treulose Ehefrau. Nur das mittlere der dreizehn Kapitel ist aus der Ich-Perspektive der Heldin erzählt.

Zu Beginn ist Xane Molin vierzehn Jahre alt und erlebt mit ihrer besten Freundin einen dramatischen Sommer. Am Ende ist sie Großmutter und versucht, für den Rest des Lebenswegs das Steuer noch einmal herumzureißen. Dazwischen nähern wir uns ihr aus verschiedensten Blickwinkeln: Da ist ihr Vermieter, der sie misstrauisch beobachtet und eigene Geheimnisse hat, da ist der Überlebende eines Bürgerkriegs, der sich in sie verliebt, da ist die ungestüme Jugendfreundin, die Xane nach Jahrzehnten plötzlich nicht mehr zu ertragen glaubt. Eva Menasse hat einen unbestechlichen Blick für Frauen in der Gesellschaft. Furchtlos und subtil erzählt sie von einer aberwitzigen Auschwitz-Exkursion, vom Arbeitsalltag einer Kinderwunschärztin oder von den Mutproben der pubertierenden Tochter in einer Patchwork-Familie. Aus diesem vielstimmigen Mosaik tritt auf magische Weise ein Roman hervor, der wie nebenbei die Fragen nach Wahrnehmung und Wahrheit stellt. In einer österreichischen Kritik heißt es: „Diese ‚Quasikristalle‘ schillern in allen Farben. Es ist kein Frauenbuch, sondern eines über Menschen. Es macht großen Spaß zu lesen und schont gleichzeitig weder Protagonistin noch Leser. Denn es ist voller Wahrheiten, auch jener, die man nicht so gerne vorgehalten bekommen möchte.”





Mit dem Buch "Der Holocaust vor Gericht. Der Prozeß um David Irving" (2004) machte sie sich einen Namen, die 1970 in Wien geborene Journalistin Eva Menasse. In diesem Frühjahr nun hat sie einen Roman vorgelegt, dem sofort die Ehre zuteil geworden ist, als Vorabdruck in der F.A.Z. abgedruckt zu werden: "Vienna".
Es ist die bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreichende Geschichte einer jüdischen Familie, ein temperamentvoll erzähltes Panoptikum aus prägnanten Figuren und tragikomischen Episoden, eine faszinierende Kette aus Anekdoten und Porträts.

Eva Menasse erzählt von den weltweiten und welthaltigen Schicksalen ihrer Familie, deren Mitglieder aus Wien vertrieben und nach Wien zurückgekehrt sind und insofern seinen Titel "Vienna" zu recht trägt. Aber es ist weit mehr als ein Wien-Buch, vielmehr eine Familiengeschichte, in der sich exemplarisch die jüdische Identitätsproblematik und fast ein Jahrhundert Zeitgeschichte spiegelt.
Die Kinder eines Wiener Juden und einer mährischen Katholikin verschlägt es auf der Flucht vor den Nazis in die unheimatliche Welt. Während der eine Sohn in England Fußballer wird und der andere sich im Dschungel von Burma als Soldat durchschlägt, geht die schöne Schwester Katzi in Kanada verloren - womit nur ein paar der zentrifugalen und dann wieder zentripedalen Entwicklungslinien des Romans angedeutet sind.

Seine Unterhaltsamheit gewinnt der Roman aus den hinreißend genauen Blick auf das charakterologische Detail - etwa die von Adolf "Dolly" Königsberger, genannt Onkel Königsbee. Dieser ist ein Sprachfex mit einer Vorliebe für Fremdwörter und Wortverfremdungen, doch wenn er "Das ist nicht meine Domäne" verwandelt in den Satz "Das ist nicht meine Dämone", dann wird noch das Wortspiel durchsichtig für Abgründiges.

Der Anfang des Romans schlägt das Thema und das Temperament, die Methode und die Moral von Eva Menasses Roman an: "Mein Vater war eine Sturzgeburt. Er und ein Pelzmantel wurden Opfer der Bridgeleidenschaft meiner Großmutter, die obwohl die Wehen einsetzten, unbedingt noch die Partie fertigsspielen musste. Bis auf ein einziges dramatisches Mal hat meine Großmutter alle Partien ihres Lebens fertiggespielt, denn eine Partie in ihrer Mitte anzubrechen war unzumutbar." - und nach mehr als vierhundert Seiten kehrt Eva Menasse zu jenem Anfangssatz: "Weißt Du was?", heißt es da: "Mein Sohn war eine Sturzgeburt."