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Hannes Stein

„1913 – Der Sommer des Jahrhunderts“ – seit seinem Erscheinen lässt sich das Buch von Florian Illies nicht von den Bestsellerlisten verdrängen. Es gewinnt seine suggestive Aura von dem Jahr, das auf jenen „Sommer“ gefolgt ist und das paradoxerweise bereits jetzt seine Schatten vorauswirft, die Schatten eines monströsen Gedenkjahres. Der Literaturverein Münster hält dagegen. Er hat einen Autor eingeladen, der das Jahr 1914 ein Jahr wie jedes andere sein lässt. Am Montag, den 7. Oktober wird um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei Hannes Stein aus seinem Roman „Der Komet“ lesen.

Hannes Stein, geboren 1965, ist für verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften journalistisch tätig gewesen und ist bekannt geworden mit Büchern wie „Endlich Nichtdenker! Ein Handbuch für den überforderten Intellektuellen“ oder „Enzyklopädie der Alltagsqualen. Ein Trostbuch für den geplagten Zeitgenossen“. Er hat dann aber, nachdem er eine Green Card gewonnen hatte, einige Resonanz gefunden mit den autobiographischen „Aufzeichnungen eines Ausgewanderten“, das vor 3 Jahren unter dem Titel „Tschüß Deutschland!“ erschient. Mit dieser „Auswanderung“ hat auch der erste Roman von Hannes Stein zu tun. Weil er sich in New York so stark nach dem Österreich Musils und Werfels gesehnt habe, bekennt er in einem WDR-Interview, habe er den Vielvölkerstaat in seinem Roman "Der Komet" einfach literarisch weiterleben lassen. Das freilich hört sich harmloser an, als der Roman tatsächlich ist. Es ist ein einziger Satz in diesem Roman, der dafür verantwortlich ist, dass es weder den Ersten Weltkrieg noch den Zweiten, nicht den Kalten Krieg und nicht die Kollision mit dem Islam gegeben hat. Der Satz lautet „I bin doch ned deppat, i fohr wieder z’haus“. Geraunzt wird er von dem österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajewo, wo gerade jemand versucht hat, eine Bombe auf ihn zu werfen. Der Thronfolger fährt also wieder heim, die europäischen Staaten erhalten ihre komplizierte Machtbalance – eine Art augusteischer Frieden herrscht auf der Welt. Dagegen ist Amerika ist ein zurückgebliebener Kontinent voller Cowboys, Goldgräber und Hinterwäldler. Ein Europa – dem alle nur denkbaren Amerikanismen erspart bleiben – ist das vorherrschend von Monarchen regierte Maß aller Dinge. Insbesondere das k.u.k.-Reich mit seiner Hauptstadt Wien ist und bleibt der Nabel der Welt. Hier, in der Hauptstadt des Vielvölkerreichs, dieser Stadt voller Juden, Psychoanalytiker und Wiener Schmäh, spielt der Roman, und in dieser Szenerie lässt Hannes Stein seinen jungen Protagonisten eine Liaison mit einer Gesellschaftsdame eingehen, deren Mann gerade auf dem Mond weilt, Dieser ist eine deutsche Kolonie, wo der Österreicher in seiner Eigenschaft als k.u.k.-Hofastronom arbeiten darf. Die Nachrichten allerdings, die er von dort sendet, sind dramatisch. Ein Komet befindet sich auf Kollisionskurs Richtung Erde und soll in wenigen Monaten dort einschlagen. Florian Illies löst Gedenken aus, Hannes Stein: Gedanken. Daniel Haas im Deutschlandfunk: „Mit der Aussetzung der historischen Gräuel verschwindet auch ein Großteil der modernen kulturellen Imagination im Nichts. Der von Stein entworfene Kosmos ist künstlerisch arm dran. Kafka und Mann, Zweig und Rilke können in dieser Alternativwelt nicht schreiben, Picassos "Guernica" entsteht ebenso wenig wie die Klagegesänge des Blues. Die Frage, ob wir auf solche Kunst zugunsten einer friedvolleren Geschichte verzichten würden, ist zynisch. Aber sie begleitet diesen heiter-klugen Text als düsterer Akkord.“ Wolf Biermann in der „Zeit“: „Solch eine Was-wäre-wenn-gewesen-Spielerei ist nicht etwa eitel und Haschen nach dem Wind einer blasierten Gegenwartsflucht. Im Gegenteil, sie animiert unsere politische Fantasie zum alternativen Zukunftsdenken und ermuntert zum unerwarteten Handeln in der Gegenwart.“