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Arnold Stadler

Zum Abschluss seines diesjährigen Lesungsprogramms hat der Literaturverein Münster einen der wichtigsten und eigenwilligsten Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur eingeladen. Und dieser wiederum präsentiert einen Autor, der seinerseits einen unverwechselbaren Prosadialekt geschaffen hat. Am Mittwoch, den 7. Dezember wird um 20 Uhr im Lesesaal der Stadtbücherei Arnold Stadler - der Büchnerpreisträger des Jahres 1999 - aus seinem neuen Buch „Mein Stifter“ lesen. Es gilt dem böhmisch-österreichischen Dichter Adalbert Stifter, der am 23. Oktober vor 200 Jahren geboren worden ist, und Arnold Stadler ist ein Stifter-Leser seit Jahrzehnten. Als Vierzehnjähriger stieß er im „Nachsommer“ auf Seiten, die ihn in einer existentiellen Erschütterung auffingen. Später erst sind ihm die Abgründe von Stifters Lebens-Werk aufgegangen, und er hat sich immer stärker und immer wieder vertieft in die gewaltige Transformation eines unglücklichen Lebens in ein „glückliches“ Werk.
Im Motto seines Buches – das ausdrücklich kein Sachbuch sein will, sondern eine vergegenwärtigende „Liebeserklärung“ - hat Stadler zwei Zitate montiert, ein autobiographisches Fragment von Stifter und das Ende seines eigenen Romans „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“. Es ergibt sich so etwas wie ein Hologramm seiner Lese(auto)biographie: „Ich bin oft vor den Erscheinungen meines Lebens, das einfach war, wie ein Halm wächst, in Verwunderung geraten, und doch habe ich mir dieses Leben schließlich genommen…(so ergänze ich einen schönen Satz). Adalberts Stifter, ein Dichter, brachte Licht in mein Leben, dunkles Licht…als liege eine sehr weite Finsternis um das Ding herum. Ich hatte einen Selbstmörder als Lebenshilfe, seine Nachsommerwelt als Trost, diesseits und jenseits von Schwackenreute, einer Ortschaft, einfach wie ein Halm wächst.“ Stadler nähert sich Stifter über fünf Photographien, in denen die Stationen eines erlösungsbedürftigen Lebens erschütternd sichtbar werden. Und betrachtet dann die Totenmaske: „Da ist alles (wieder) gut. (…) Zwar lächelt Stifter auch auf diesem Bild nicht. Aber es ist gut. Consumatum est. Es ist vollbracht. – Er schaut so, als könnte er noch schauen. Nach innen und von da in alle Richtungen.“
Im Mittelpunkt seiner Auseinandersetzung mit Stifter steht der „Nachsommer“-Roman, der für Stadler Stifters „erträumte“ Biographie darstellt: „Stifters Traum vom Bleiben. Und von der Liebe. Und eine Korrektur der tatsächlichen Geschichte.“ Arnold Stadler begibt sich an die Orte von Stifters Leben, liest Stifter wieder und wieder, und er stürzt sich mit heiligem Zorn in die alten und neuen Stifter-Debatten, ob sie von Friedrich Hebbel oder von Thomas Bernhard angezettelt worden sind. Es ist eine betörende List des Alphabets, dass es uns im zu Ende gehenden (Stifter-)Jahr die Augen öffnet für die Initialen, die Arnold Stadler und „sein“ Adalbert Stifter gemeinsam haben.




Am Mittwoch, den 1. April beginnt um 18.30 Uhr im Franz-Hitze Haus eine Veranstaltung, auf der der Büchnerpreisträger Arnold Stadler nicht nur aus seinem neuen Roman „Salvatore“ lesen, sondern auch Sequenzen aus Pier Paolo Pasolinis „Das erste Evangelium – Matthäus“ (1964) begleiten.

Arnold Stadler, geboren 1954, erzählt die Geschichte eines Mannes, den Pasolinis Verfilmung des Matthäusevangeliums wie ein Schlag trifft. Eine Erschütterung, die der Roman dadurch verkörpert, dass er den Film emphatisch nacherzählt. Reflexion und Suggestion verbinden sich zu einer fast anstößig unzeitgemäßen Prosa. In seiner ungebärdigen Exegese, in der Rückbesinnung auf den biblischen Urtext und auf die kongenialischen Schwarz-Weiß-Bilder Pasolinis lässt Arnold Stadler keinen Zweifel daran aufkommen, dass es ihm – gegen alle akademisch theologischen Positionen – um Religion im allerverbindlichsten Sinne geht. Das zeigt sich auch in seiner „Auslegung“ eines weiteren Kunstwerkes, des Gemäldes „Die Berufung des Matthäus“ von Caravaggio. So wie Pasolini mit Laienschauspielern gearbeitet hat, so hat auch Caravaggio die Modelle für seine Heiligen „auf der Straße“ gefunden: Theologie als Ethnologie! Auch bei dem Gemälde schert sich Stadler nicht um die kunsthistorischen Lehrmeinungen, sondern legt mit hinreißender Subjektivität eine völlig neue Pointe des Bildes frei. Tilman Krause in der Welt der Literatur kommt in seiner Rezension zu dem Ergebnis: „Das Primäre (durchaus auch im Sinne des von Pasolini so geschätzten Skandalons) an ‚Salvatore’ ist die erzählerische Intensität, ja Inbrunst, mit der Stadler dem Glauben eine Gasse schlägt. Ein Buch, das uns emporreißt aus der Bequemlichkeit unserer Diesseitsfixiertheit“.