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Jan Brokken

Fast ist er zu einem Wort geworden, das einem schon zu geläufig von der Zunge fliegt, William Faulkners Satz aus dem "Requiem für eine Nonne" (1951): „Die Vergangenheit ist nicht tot, in Wirklichkeit ist sie noch nicht einmal vergangen“. Konkretisiert hat ihn der niederländische Schriftsteller Jan Brokken: „Warum bleibt die Vergangenheit so schmerzhaft?“ Vorangestellt hat Brokken diese Frage seinem Buch „Die Vergeltung. Rhoon 1944. Ein Dorf unter deutscher Besatzung“. Am Mittwoch, den 4. November 2015 wird er um 20 Uhr im Theatertreff (Neubrückenstraße 69) Auszüge aus diesem Buch vorstellen. Jan Brokken, Jahrgang 1949, rekonstruiert einen dramatischen Vorfall, der sich am 10. Oktober 1944 in dem von den Deutschen besetzten südholländischen Dörfchen Rhoon ereignet hat und der die Dorfgemeinschaft bis heute spaltet.

Im von der Wehrmacht besetzten niederländischen Dorf Rhoon findet ein deutscher Soldat am 10.10.1944 den Tod. Die Vergeltungsmaßnahmen sind entsetzlich: Sieben Männer aus dem Dorf werden hingerichtet, ihre Frauen und Kinder werden vertrieben, ihre Häuser werden in Brand gesteckt.

In einer Vorbemerkung gibt Brokken, der in Rhoon aufwuchs, Auskunft über seine jahrelangen Nachforschungen, die er zusammen mit einem seiner Schulkameraden angestellt hat. Aber trotz aller Befunde gilt für ihn: „Jede Wahrheit ist lediglich eine Interpretation dessen, was sich in Wirklichkeit zugetragen hat.“ Brokken will wissen: Wer verübte jenen Anschlag auf den jungen Soldaten? Und warum? Oder war es doch „nur“ ein Unfall? Bis zum heutigen Tage machen sich die Dorfbewohner gegenseitig heftigste Vorwürfe.

Jan Brokken geht dem Ereignis mit detektivischem Spürsinn auf den Grund. Für sein Buch hat er Interviews mit 185 Zeitzeugen und Hinterbliebenen geführt, in deutschen und niederländischen Archiven geforscht. Er hat Tausende Seiten aus Gerichtsakten und Zeugenprotokollen eingesehen und rekonstruiert auf dieser Basis minutiös die Ereignisse vom Oktober 1944. Die Suche nach der Wahrheit gerät zur kriminalistischen Recherche, und die Auskunft über diese Recherche fesselt wie ein Thriller, durchaus vergleichbar mit dem Tatsachenroman „Kaltblütig“ von Truman Capote. Indem Brokken ganz dicht an die beteiligten Menschen herangeht, entsteht das lebendige Bild eines Dorfes in Zeiten des Krieges. Nein, die Vergangenheit ist nicht tot. Brokken stößt bei seinen Ermittlungen auf die Feststellung eines der damals Beteiligten: „Es ist damals viel mehr passiert, als gemeldet und beschrieben worden ist.“ Selten sei man dem Zweiten Weltkrieg auf konkrete Weise so nah wie in Brokkens „Vergeltung“, befindet die „Zeit“, und Dirk Schümer in der „Welt“ resümiert: „Brokken führt uns vor, dass der Krieg erst vorbei ist, wenn die Menschen alles erzählt haben. Also nie.“